Würde man den Kieler Seefischmarkt nach seinem bunten Sammelsurium an Geschichte beurteilen – Bauerndorf in hügeliger Landschaft (650 Jahre), Werftgelände (50 Jahre), Seefischmarkt (25 Jahre) – wäre er nur eine Randnotiz der Geschichte.

Würde man ihn nach seiner Lage beurteilen – an der Mündung der Schwentine in die Ostsee (schön), im Stadtteil Wellingdorf (schwierig) -, wären die Meinungen bestenfalls geteilt, obwohl die Aus– und Anblicke teilweise sehr schön sind:



2015 hätte Wellingdorf sein 700 jähriges Bestehen feiern können. Aber Kiel hatte den Jahrestag seines Stadtteils nicht auf dem Plan und der Ortsbeirat auch nicht. Und obwohl der pensionierte Wellingdorfer Pastor Gottfried Christopher Hesse bereits Anfang des Jubiläumsjahres auf den Termin aufmerksam machte und sogar einen Gedenkstein spendete, ging der Jahrestag ohne offizielle Feier vorbei.



Dabei ist der Kieler Seefischmarkt in Wellingdorf einer der interessantesten Orte in Kiel. Forschung, Handel, Handwerk, Kunst, Architektur und Sportboothafen prallen hier unmittelbar unerwartet friedlich aufeinander und schaffen eine ganz eigene, inspirierende Atmosphäre. Nicht umsonst ist am Seefischmarkt die Dichte an Kreativen und Künstlern auffallend hoch.



Positiv geprägt und über das alltägliche Mittelmaß erhoben wird der Seefischmarkt durch das ehemalige Verwaltungsgebäude des alten Marinearsenals. Seine stolze Präsenz ist das Herzstück des Areals und trotzt heran kriechenden, die Perspektive zerstörenden Neubauten.




Ein Hoheitszeichen schon für sich selbst wird es durch zwei Figuren in seiner Hauswand zum Ereignis: In exponierten, extra dafür im roten Backstein geformten Nischen stehen die beiden fast zweieinhalb Meter großen Figuren aus Kunststein, die den eigentlichen Schatz des Seefischmarktes ausmachen.

Denn was ist Kunst? Das, was in Museen ein Zuhause gefunden hat? Oder das, wofür Sammler viel Geld ausgeben? Oder einfach etwas, was sich über Zeit und Raum erhebt, berührt, beeindruckt und inspiriert?

Aber was ist, wenn diese Kunst zur falschen Zeit zum falschen Zweck – 1939 zur Verherrlichung der Herrschaft der Nationalsozialisten - in Auftrag gegeben wurde? Wie der Matrose und der Werftarbeiter des Kieler Bildhauers Erich Schmidt-Kabul.



Eine Internetrecherche zur Person des Künstlers ergibt einen mageren Eintrag bei Wikipedia, aus denen die Worte ‚psychische Erkrankungen‘, ,zwangssterilisiert‘ und ‚Nazi-Schutzstaffel SA‘ abschreckend hervorstechen, aber zusammen kein schlüssiges Personenbild ergeben. Zumal, wenn man sich dort Erich Schmidt-Kabuls harmonische, sensible Tierfiguren anschaut, die auf einer Kreuzung in Kiel-Elmschenhagen stehen. Das soll ein Nazi gewesen sein?



Zum Glück gibt es Menschen wie den Kunsthistoriker Prof. Ulrich Schulte-Wülwer, der sich die Mühe gemacht hat, u.a. persönliche Briefe aus dem Nachlass von Erich Schmidt-Kabul im Stadtmuseum Warleberger Hof in Kiel auszugraben.

In seiner spannenden Biografie des Kunstlebens in Kiel zwischen den beiden Weltkriegen wird ein talentierter, völlig unpolitischer Mann lebendig, der am liebsten Tierfiguren modellierte und Zeit seines Lebens um das wirtschaftliche Überleben, die künstlerische Anerkennung und mit seinen psychischen Erkrankungen kämpfte. Über den sein ihn wertschätzender Berliner Kunstprofessor an seinen besorgten Vater schrieb:

‚Sein Zustand ist durchaus normal und zu einer Beunruhigung scheint mir kein Grund vorzuliegen. (…) Schwermütige Sorgen ob des Verlaufs der Dinge hat er sich keinen Augenblick gemacht, sondern schlurfte friedlich pomadig bis zum Äußersten seines Weges.‘

Heute ist Erich Schmidt-Kabuls Wahrnehmung unter die Mühlräder der Geschichte geraten. Genau so wie sein Werk. Hat er das verdient?

Mein Dank gehört Pastor Gottfried Christopher Hesse, Fotograf Frank Eschenmann (www.eschenmann.de), Kunsthistoriker Prof. Schulte-Wülwer und Fotograf Jan Petersen (Kunst@SH) für ihre freundliche, inspirierende Unterstützung.

Verwendete Quellen: Kiel Wiki, Wikipedia und Kieler Künstler, Band 3: In der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1918-1945, ISBN: 978-3-8042-1493-4